Sebastian und Quattro
Im März hatte ich die Gelegenheit und das Vergnügen, gleichzeitig mit zwei ganz außergewöhnlichen Ponys arbeiten zu dürfen.
In einem Fall ging es um ein sehr schlankes, hochbeiniges, älteres Ponystütchen, das lange Zeit auf Ponyspringturnieren in Holland eingesetzt worden war. Ihr nun vierter und zum Glück auch endgültiger Besitzer ist nun ein sehr großer Mann, der die kleine Pferdedame von Herzen liebt und wirklich rührend um ihr Wohl besorgt ist. Für seine Tochter kaufte er sie und nimmt, bis diese groß genug ist, selbst Unterricht bei Petra Jaklitsch, einer unserer Trainerinnen im Sinne des Pferdes. Der Zufall wollte es, dass ich in der Gegend war und so bat Petra mich, einmal mit ihren Schülern zu arbeiten, um weitere Anregungen und Ideen zu bekommen.
Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit diesem ungewöhnlichen Paar zu arbeiten. Die Stute war sehr fein und hat auf die kleinsten Hilfen super gut reagiert, Petra hat wirklich eine gute Vorarbeit geleistet. Während wir so an Tempowechsel, Richtungswechsel und „Einladen“ gearbeitet haben, ist mir jedoch aufgefallen, das da etwas ganz und gar nicht stimmig war. Die Kleine gab sich große Mühe, Sebastian zufriedenzustellen, dennoch zeigte sie keine rechte Zuneigung und kein tiefes Gefühl bei der Arbeit. Sie schien eher zu „funktionieren“ und irgendetwas löste Unwohlsein bei ihr aus. Eine Weile beobachtete ich die Arbeit, aber Timing und die Art und Weise wie Sebastian seine Vorschläge präsentierte, waren stimmig und gut, dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir etwas übersehen.
Mein erster Gedanke ging in die Richtung, dass Quattro (so heißt die Pony Dame) von etwas zurückgehalten wird und leitete Sebastian an, die Wechsel etwas abrupter zu setzen, um eventuell angestaute Blockaden mehr ans Licht kommen zu lassen. Aber auch das brachte nicht die Lösung. So begab ich mich auf die Suche und veränderte immer wieder die Herangehensweise. Ich bat ihn, die Stute zu sich „einzuladen“, um ihm zu erklären, was mich gerade beschäftigt. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen – was vorher versteckt passiert war, trat jetzt überdeutlich hervor: es war genau der Moment, in dem Sebastian sie „einlud“, und streicheln wollte. Genau da geschah eine Wandlung in dem Pony. Erst lief die Stute freundlich und interessiert auf ihren Menschen zu, aber als er sie streichelte, wandte sie sich innerlich deutlich sichtbar ab. Obwohl das kleine Pferdchen brav an der Stelle stehen blieb, war ihre Körpersprache mehr als deutlich!
Sebastian berührte die Stute und sie drehte in der Sekunde ihren Kopf von ihm weg zur Seite und schlug ganz kurz mit dem Schweif! Gesten des Pferdes, bei denen man sich oftmals nicht viel denkt, die so kurz passieren, dass sie häufig nicht wahr- und schon gar nicht ernst genommen werden. Genau hier setzte ich an und schaute noch einmal genauer hin. Ganz deutlich konnte ich nun erkennen, dass es nicht der Kontakt mit dem Menschen an sich war, der ihr Unwohlsein und ihre Abneigung verursachte, sondern die Art und Weise, wie Sebastian das kleine Pferdchen streichelte.
Aufgrund des enormen Größenunterschieds war es für Sebastian eine völlig selbstverständliche und natürliche Geste, Quattro, neben ihr stehend und mit dem Arm über sie greifend, auf der ihm abgewandten Seite zu streicheln – und genau das war es, was ihr missfiel. Um sicherzugehen, ließ ich ihn ein paar Mal streicheln, immer im Wechsel auf seiner Seite oder auf der ihm abgewandten Seite, indem er über ihren Hals hinübergriff. Sie zeigte mehr als deutlich: Streicheln auf der Seite wo er steht: fühlt sich gut an! Dabei wandte die Stute Sebastian den Kopf zu und ihr Blick wurde weich. Streichelte er jedoch, indem er über sie hinüber langte, drehte sie ihren Kopf von ihm weg, zog die Nüstern leicht nach oben und schlug kurz mit dem Schweif. Offensichtlich empfand Quattro diese Art des Streichelns als übergriffig oder um es mal in „menschlich“ auszudrücken sogar als überheblich.
Es war allein diese übergreifende Geste, die ihr so missfiel und sie hatte uns dies nur durch winzige Anzeichen zu verstehen gegeben. Das war spannend und für mich wundervoll zu erleben, wie die Stute ihre Zuneigung zu Sebastian plötzlich auch zeigen und leben durfte, weil er sie nun in der von ihr als angenehm empfundenen Art und Weise streichelte! Einmal mehr ein Beweis für mich: Kleine Ursache, große Wirkung und genaues Hinsehen ist oft der Schlüssel zur Lösung eines Problems!
Kathinka und Snubs
Wieder zu Hause angekommen, hatte ich nur zwei Tage später Besuch von Kathinka mit ihrem Friesenhengst und dem Pony Snubs. Ein tolles Pferdepaar, das kaum gegensätzlicher sein könnte! Rasstanos, der schwarze, unglaublich imposante Friesenhengst und Snubs, ein gerade mal 90 cm großer Schimmel.
Aufgrund seiner Größe ist es schwer, eine Pflegebeteiligung für Snubs zu finden und so ist Kathinka immer bemüht, auch das Pony angemessen zu beschäftigen, was allerdings bei einem energieraubenden Vollzeitjob und einem weiteren Pferd nicht immer einfach ist. Snubs zwickt gerne mal und ist auch sonst nur wenig kooperativ. Bei der freilaufenden Arbeit im Round Pen ist er eigentlich immer mehr dagegen als dafür und ausschließlich damit beschäftigt, zu protestieren. Er ist gegen Traben und gegen Schritt, gegen Galopp, gegen jeden Richtungswechsel und selbst die Anfrage, nur im Kreis zu gehen, wird energisch verneint. Kurz – Snubs ist einfach gegen alles und würde sich am liebsten aus dem Round Pen hinaus beamen, um sich mit den anderen Pferden im Auslauf zu beschäftigen. Auch bei der Arbeit am Seil hält er sinnbildlich gesprochen konsequent sein Protestschild mit der Aufschrift DAGEGEN hoch. Dies zeigt er mit Widerstand in allen Richtungen und den Versuchen, immer wieder zu zwicken. Kann er damit die Menschen nicht beeindrucken, probiert er es mit Steigen. Dies hat er so gut drauf, dass er es sehr lange und häufig umsetzen kann.
Im Vergleich zu unserer Ponystute Quattro, die an sich dem Menschen sehr zugewandt und willig ihm gegenüber war, zeigt Snubs sehr deutlich seine Abneigung gegenüber allem und jedem. Wenn man sich aber die Mühe macht und sich Zeit nimmt, beginnt er langsam, seinen Widerstand zu überdenken und loszulassen. Das Beißen wird weniger, auch das Steigen lässt nach und die Kooperation wird größer. Damit einhergehend verändern sich sein Gesichtsausdruck sowie seine gesamte Einstellung zur Arbeit mit dem Menschen.
Was haben denn nun diese beiden Ponys so gemeinsam, dass ich sie, zumindest für diesen Artikel, in einen Topf schmeiße?
Ich denke, dass beide unter ihrer („mangelnden“) Größe „leiden“. Es ist das Nicht-gesehen- oder Verniedlicht-Werden, das sich Nicht-ernstgenommen-Fühlen, das beiden Pferden zu schaffen macht. Bei der Stute zeigt es sich lediglich, wenn Sebastian zum Streicheln über sie hinüber greift, bei Snubs entsteht der Frust schon in dem Moment, in dem ihn niemand ernst nimmt, wenn er zwickt oder steigt. Es ist schon so, dass ein 90 Zentimeter großes Pony, das steigt, in gewisser Weise niedlich aussieht und viele lächeln, wenn es sich possierlich aufbäumt. Erhebt sich ein Friesenhengst auf die Hinterbeine, beeindruckt das schon sehr viel mehr. Dennoch steckt dahinter die gleiche Absicht, dieselbe Botschaft: Zwicken, treten, beißen oder steigen – alles zeigt eine Abwehrhaltung des Pferdes. Dadurch, dass dies „nur“ ein kleines Pony tut, verändert sich die Bedeutung keineswegs, auch wenn vielleicht für den Menschen nicht ganz so viel Gefahr davon ausgeht.
Im Falle von Quattro könnte man nun sagen, das wäre Jammern auf hohem Niveau – die Stute führt doch alle Aufgaben fein und zur Zufriedenheit des Menschen aus. Aber mal ehrlich: Wollen wir nun eine gute Partnerschaft, basierend auf Respekt und Wertschätzung oder wollen wir ein Tier, das auf „Knopfdruck“ automatisiert irgendwelche Kunststückchen zeigt? Gehört zu einer ehrlichen Freund- und Partnerschaft nicht auch dazu, die Wünsche und Gefühle des anderen zu respektieren? Streicheln wir unser Pferd nicht mit der Absicht, dass es sich dabei wohlfühlt? Möchten wir ihm nicht mit dem Streicheln etwas Gutes tun?! Dann sollte es uns auch wichtig sein, dass es diese Zuwendung als angenehm empfindet!
Vielleicht kennen Sie das sogar aus dem zwischenmenschlichen Bereich: Jemand ist am Hals sehr sensibel und bekommt vielleicht rasch Angstgefühle, wenn mal ein Pulli zu eng anliegt oder wenn der Arm bei einer etwas stürmischeren Umarmung ein klein wenig verrutscht. Würden Sie Ihrem Freund das zumuten? Oder wären Sie nicht im Gegenteil sehr froh, wenn er seine Ängste mit Ihnen teilte und dann könnten Sie bei der nächsten Umarmung vorsichtiger sein. Wenn wir streicheln in einer Art und Weise, die dem Pferd missfällt, dann können wir es eigentlich sein lassen! Wenn wir die oftmals deutlichen Zeichen, die uns das Pferd zur Kommunikation anbietet, nicht annehmen oder verstehen (wollen), was vermitteln wir dann unserem Pferd? Deine Meinung ist mir egal?
Und im Falle von Snubs? Wir tragen Verantwortung von dem Moment an, in dem wir Kontakt mit einem Pferd aufnehmen oder es gar als unser eigenes halten. Das heißt auch, dass wir Verantwortung für sein psychisches Wohlbefinden übernehmen. In einem kleinen Körper steckt oftmals ein intelligentes Pferd, mit einem großen Herzen, das gesehen werden will, nicht belächelt. Auch ein Pony braucht unsere Klarheit und innere Sicherheit, ebenso, wie es die großen Kollegen einfordern. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein!
Ponys haben aufgrund ihrer Größe oft mit dem Schicksal zu kämpfen, dass sie weiterverkauft werden, weil die Kinder aus ihnen herauswachsen. Zudem kaufen nicht selten pferdeunterfahrene Eltern ein Pony und die Kinder können bei der größten Mühe und Liebe zum Pferd noch gar nicht so klar in ihrer Kommunikation sein wie es nötig wäre und müssen die „Pferdesprache“ erst lernen. Dazu bedarf es guter Vorbilder und engagierter Lehrer – in unserer Reiterwelt leider noch viel zu selten. Manchmal geht auch bei Kindern die Lust Pferdesport und am vierbeinigen Partner verloren und bevor das erkannt und dem zugestimmt wird – vergeht viel wertvolle und für das Pony unglückliche Zeit. All dies ist für manche Ponys schwer zu ertragen, andere nehmen es leichter und schließen sich auch rascher neuen Menschen an. Die zwei Beispiele von oben sind nur zwei exemplarische Schicksale von vielen, auf die ich mit diesem Artikel aufmerksam machen möchte.
Ganz oft gilt nämlich: Klein aber oho! Nehmen Sie ein Ihnen anvertrautes Pony ernst: Schätzen Sie die mutige und ehrliche Ponyseele und schauen Sie genau hin, wenn diese hochintelligenten Wesen ihrem Frust durch Widerstand, Abneigung, Steigen oder Treten Luft machen – denn sie sind nicht böse – sondern rufen um Hilfe, um endlich ihre wunderbaren Ponytalente und ihr großes Herz zu zeigen!
Innere Größe bemisst sich nicht nach Zentimetern!
Im Sinne des Ponys!
Eure Simone Carlson
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