„Warum Pferde nicht Menschen, sondern Gefühlen folgen“
Silvester liegt schon ein paar Tage zurück, und nein, ich werde jetzt nicht über das sinnlose Böllern und das damit verbundene Leid der Tiere sprechen.
Stattdessen möchte ich eine interessante Beobachtung mit euch teilen.
Kurz vor Mitternacht verteilen wir in unserem Offenstall an vielen Stellen Heu, um unsere 17-köpfige Herde zu beschäftigen, abzulenken und sie durch die Silvesterböllerei zu begleiten – ein
bewährtes Konzept seit Jahren. Doch plötzlich begann Arde, meine
Andalusier-Stute, sich anzuspannen und nervös auf und ab zu rennen, obwohl alle anderen Pferde entspannt fraßen. Rasch ließen sich einige Jungpferde von ihrer Unruhe anstecken.
Normalerweise verbringe ich Silvester als stiller Beobachter in einer Ecke, um sicherzugehen, dass alles entspannt verläuft. Doch diesmal hatte ich den Impuls, einzugreifen, bevor Arde noch mehr
Unruhe verbreitete. Ich verließ meine Position, stellte mich mitten in den Auslauf – und Arde kam direkt zu mir, parkte sich neben mir ein. Ruhig atmend strich ich ihr über den Hals. Ihr Puls
beruhigte sich, die Anspannung blieb noch eine Weile, doch die Herde entspannte sich sofort, weil Arde wieder Ruhe fand.
Für den Rest der Böllerei blieb ich bei ihr stehen. Sie fraß zwar kein Heu, doch sie konnte zumindest ruhig verharren. Offenbar genügte ihr meine Präsenz. Da erinnerte ich mich an einen Satz
meines Mentors vor 30 Jahren:
❝ Ein Pferd liebt dich nicht für das, was du bist, sondern dafür, wie es sich in deiner Gegenwart fühlt. ❞
Diese Erkenntnis bestätigt sich mir immer wieder – in Kursen oder wenn ich mit fremden Pferden arbeite. Pferde orientieren sich nicht an Vertrautheit oder der Dauer einer Beziehung, sondern
daran, wie sie sich in der Nähe eines Menschen fühlen. Ein Pferd kann seinen Besitzer jahrelang kennen und dennoch eine fremde Person bevorzugen, wenn diese ihm ein klareres, sichereres Gefühl
vermittelt.
Klarheit und Sicherheit spielen für ein Fluchttier eine größere Rolle als Gewohnheit. Deshalb folgen Pferde nicht primär einer Person, sondern einem Gefühl. Eine Tatsache, die dem menschlichen
Ego manchmal wehtut, für Pferde aber völlig neutral und normal ist.
Viele Emotionen, die wir in unsere Pferde hineininterpretieren, haben mit unserem eigenen Ego zu tun. Natürlich ist es schön, wenn das eigene Pferd so viel Vertrauen hat, dass allein unsere
Anwesenheit es beruhigt. Doch ist es wirklich gesund, wenn ein Lebewesen so abhängig von uns ist?
Mein Ziel mit Arde ist es, ihr zu helfen, mehr in sich selbst zu ruhen, innere Sicherheit zu entwickeln und die Gelassenheit ihrer Herde zu übernehmen – damit sie mich nicht braucht. Denn kein
Lebewesen sollte psychisch abhängig sein.
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