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Wenn Pferde nicht mehr zuhören und Menschen zuviel reden

Wenn Pferde nicht mehr zuhören – und Menschen zu viel reden...
Es ist schon eine Weile her, dass ich eine E-Mail bekam, die mich sofort berührte. Eine verzweifelte Pferdebesitzerin schrieb mir über ihren geliebten Wallach, mit dem sie einst eine tiefe, vertrauensvolle Verbindung hatte – bis zu dem Tag, an dem alles anders wurde.
Ein Unfall hatte sie für lange Zeit aus dem Sattel geworfen. Sie musste sich mühsam zurück ins Leben kämpfen. Und als sie nach all den Monaten endlich wieder in den Stall kam, voller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit ihrem Pferd, geschah das Undenkbare:
Er ignorierte sie.
Kein freudiges Begrüßen, kein erwartungsvolles Schnauben, kein liebevolles Antlitz, das aus der Box lugte. Einfach nichts. Die vertraute Routine – aufgelöst im Nichts. Sie fühlte sich verraten. Hatte der Unfall ihre Bindung zerstört?
Ich fuhr hin, um mir ein Bild zu machen. Und schon die ausführliche Erzählung ließ mich stutzen: War das wirklich die Sicht des Pferdes – oder eher eine sehr menschliche Interpretation der Lage?
Vor Ort empfing mich ein nicht enden wollender Redeschwall. Doch mein Fokus lag auf dem Pferd. Als ich das Pferd endlich selbst beobachten konnte, sah ich keine gebrochene Freundschaft, keinen Ausdruck von Trauer oder Distanz. Ich sah einfach … nichts.
Das Pferd wurde gedankenlos aufgehalftert während der Redeschwall nie erlosch. Er wurde in die Halle geführt ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden wie er aus der Box durch den engen Gang mit in die Halle lief.
Ein müder, resignierter Schimmel, der jede Aufforderung mit großer Verzögerung umsetzte. Manchmal reagierte er nach der ersten Bitte, manchmal erst nach der vierten. Nicht trotzig. Nicht panisch. Einfach … träge.
Kein Widerstand, keine Begeisterung – nur Resignation. Sollte dieser träge, ausdruckslose Wallach wirklich einmal ein aufmerksamer, motivierter Partner gewesen sein? Schwer vorstellbar.
Das Halfter wurde abgenommen – und dann ließ man ihn laufen.
Doch er lief nicht wirklich.
Er schlurfte.
Er reagierte auf Signale, ja. Aber nicht mit Klarheit, nicht mit Überzeugung. Es war ein lebloser Automatismus. Ein Beispiel? Als er nach einigen Runden zur Besitzerin kommen sollte, sagte sie es ihm immer und immer wieder. In verschiedensten Formulierungen. Ohne klare Körpersprache, ohne Struktur.
Nach einer Weile drehte er sich in ihre Richtung, blieb stehen … überlegte … und schlurfte dann langsam ein paar Schritte näher.
Ohne Absicht. Ohne echtes Interesse.
Und da fragte ich mich: War das wirklich ein Pferd, das früher voller Freude bei der Arbeit war?
Es fehlte ihm einfach die Absicht, der Sinn dahinter. Ich persönlich wollte aber nicht glauben, dass dies etwas mit dem Unfall zu tun hatte. Mir kam es eher so vor, das wir es hier mit einem Problem zu tun haben, dass sich schon von langer Zeit angekündigt hatte, und sich jetzt in aller Deutlichkeit zeigt.
Als ich diese Vermutung äußerte bekam ich nur ungläubiges Kopfschütteln und wieder versicherte man mir, wie liebevoll und innig die Beziehung vor dem Unfall war. Allein was ich sah, wie unklar und verwirrend mit dem Pferd gearbeitet wurde, konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, dass dieses Pferd vor dem Unfall so viel anders war. Es macht einfach keinen Sinn. Sicherheitshalber fragte ich nochmal nach ob die Besitzerin denn nach dem Unfall ihre Herangehensweise stark verändert habe, was sie aber verneinte.
⏳ Drehen wir die Uhr zurück – wie es zum Unfall kam
Der Unfall selbst war ebenso bezeichnend. Die beiden waren draußen unterwegs, entspannt, am langen Zügel, „die Seele baumeln lassen“, wie sie es beschrieb. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Bis plötzlich ein Hase über den Weg sprang.
Das Pferd erschrak, machte einen Satz – und die Besitzerin stürzte in einen frisch gezackerten Acker. Oberschenkelbruch.
Doch war der Hase wirklich der Übeltäter?
Ich sah das anders.
Dieses Pferd war schon damals nicht wirklich bei der Sache. Es hatte keine Aufgabe, keinen Fokus, keine Klarheit. Vielleicht war es in Gedanken längst zurück auf der Koppel bei seinen Kumpels, meilenweit entfernt von seiner Reiterin.
Und dann kam dieser eine Moment, in dem es plötzlich wieder in die Realität katapultiert wurde. Der Hase war nicht das Problem – er war nur der Weckruf.
Wäre das Pferd in Gedanken hier bei der Sache gewesen, wäre es vielleicht nicht so stark erschrocken. Mittlerweile war mir aber auch klar, dass meine Kundin absolut gar nichts mit meiner Herangehensweise anfangen konnte, es war ihr einfach viel zu „Pferdisch“ oder fairerweise besser gesagt viel zu wenig Romantisch-menschlich.
„Liebt er mich denn noch?“
Die große (ernstgemeinte!) Frage der Besitzerin.
Und ich wusste, dass meine Antwort ihr nicht gefallen würde.
Pferde lieben uns nicht in dem Sinne, wie wir es uns wünschen. Sie sehen uns nicht als Seelenverwandte, nicht als ihre zweite Hälfte. Sie suchen Sicherheit. Klarheit. Wohlbefinden.
Sie bleiben bei den Menschen, bei denen sie sich sicher und verstanden fühlen.
Und dieses Pferd? Es war nicht sicher, nicht verstanden – es war verloren.
In einem Meer aus Worten. In einem Wirrwarr aus unklaren Signalen.
Es war nicht „bei“ seiner Besitzerin. Es ertrug sie.
Sehr unromantisch, ja eher pragmatisch, aber so ist es nun mal bei dem Fluchttier Pferd. Und wieder bekam ich nur ungläubiges Kopfschütteln als Antwort. Diesmal mit einem sehr schmerzverzerrten Gesichtsausdruck.
Pferde streben Wohlbefinden an und da wo sie Wohlbefinden fühlen, da möchten sie sein. Ihr Pferd, das schon weit sehr weit in sich selbst versunken war, trägt seine Reiterin nicht, nein er erträgt sie. Es ist ein Schicksal das viele Pferde haben die Partner, Kind oder sonstiger Ersatz sind für ihre Besitzer. In diesem Fall war sie so von ihrer romantischen Pferdegeschichte überzeugt, dass kein Argument helfen konnte sie aus dieser Blase zu holen, so gerne ich es für dieses Pferd gemacht hätte.
Ein trauriger Abschied
Am Ende musste ich erkennen: Ich konnte diesem Pferd nicht helfen.
Nicht, weil ich nicht wusste, was es brauchte – sondern weil seine Besitzerin nicht bereit war, es zu sehen.
Für sie war ihre romantische Vorstellung von ihrer Beziehung wichtiger als das, was wirklich vor ihr stand: ein überforderter Wallach, der längst aufgegeben hatte, irgendetwas verstehen zu wollen.
Ich ließ ihn zurück, in seinem Leben unzählig vieler Worte und Gesten die dermaßen viel Verwirrung auslösen, dass ihm am Ende nur die Stagnation übrig bleibt um es irgendwie zu ertragen.
Ein Fehler, den ich mir selbst eingestehen muss
Auf der Heimfahrt dachte ich lange nach.
Ich bin nicht genügend auf die Dame eingegangen, der Redeschwall war mir Zuviel (wie muss es dann erst für ein Pferd sein?) und ich habe es nicht fertig gebracht ihr immer wieder aufmerksam zuzuhören.
Ich hatte es nicht geschafft, die Besitzerin dort abzuholen, wo sie stand. Ich hatte sie nicht überzeugt. Ich war zu klar, zu direkt, zu unbeugsam. Stattdessen habe ich versucht ihr zu zeigen wie es ihrem Pferd geht, und was ihr Pferd braucht: Klarheit, Wichtigkeit, Präsenz. Damit konnte sie jedoch nichts anfangen.
Mit dem Ergebnis, dass ich kein Bewusstsein für die Bedürfnisse dieses Pferdes schaffen konnte. Und so ging nicht nur sie unverändert aus diesem Gespräch – sondern auch ihr Pferd.
Hätte ich es anders machen können? Vielleicht.
Hätte das Pferd mehr verdient? Ganz sicher.
Aber an diesem Tag konnte ich ihm nicht helfen.
💔 Tut mir leid, Großer. Ich habe es versucht. Leider nicht genug!

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