Stehst Du zu dem, was Du Deinem Pferd sagst?
Oft werde ich gefragt: Was ist wichtiger – Technik oder Gefühl?
Darauf zu antworten ist nicht einfach, denn meiner Meinung nach sind beide gleichermaßen essenziell für die Arbeit mit Pferden. Technik und Gefühl sind wie zwei Seiten einer Medaille – untrennbar
miteinander verbunden und unverzichtbar für eine ehrliche, authentische Kommunikation mit dem Pferd. Besonders dann, wenn hitzige Diskussionen über negative Verstärkung oder den Einsatz von Druck
aufkommen, gewinnen diese beiden Aspekte eine enorme Bedeutung. Doch es gibt noch etwas, das mindestens genauso wichtig ist – dazu kommen wir später.
Um besser zu verstehen, warum Technik und Gefühl so entscheidend sind, lohnt es sich, beide Aspekte einzeln zu betrachten.
Was bedeutet Technik in der Pferdearbeit?
Technik umfasst all die konkreten Fähigkeiten, die wir in der Kommunikation mit unserem Pferd einsetzen: wie wir unsere Körpersprache bewusst nutzen, wie präzise wir Signale geben und wie wir unsere Ausrüstung in Einklang mit dem Pferd einsetzen. Technik zeigt sich in jedem Detail – sei es beim Führen am Seil, bei der Bodenarbeit, am Kappzaum oder im Sattel. Jedes Signal, jede Aufforderung und jede lobende Geste gewinnt an Bedeutung durch den korrekten Einsatz der Technik. Es geht darum, die Übungen so klar und durchdacht umzusetzen, dass unser Pferd uns verstehen kann.
Sich dessen bewusst zu werden, heißt auch zu erkennen, wie essenziell Technik ist, damit unser Pferd uns überhaupt verstehen kann. Nur wenn wir klar und präzise präsentieren, was wir kommunizieren möchten, können wir Missverständnisse – und damit Frustration – vermeiden. Je deutlicher und strukturierter mein Handling ist, desto einfacher fällt es meinem Pferd, mich zu verstehen. Es muss dann nicht mehr raten oder interpretieren, was ich eigentlich sagen will.
Was genau verstehen wir unter Gefühl?
Gefühl ist das, was in unserer Präsentation mitschwingt – das unsichtbare Band, das die Technik mit Leben füllt. Es zeigt sich darin, wie wir über das Seil oder den Zügel mit unserem Pferd in Kontakt treten. Vielleicht wäre „Einfühlungsvermögen“ der treffendere Begriff, denn Gefühl ist nicht nur eine Emotion, sondern die Fähigkeit, Botschaften so zu übertragen, dass unser Pferd sie wirklich verstehen kann. Technik mag festlegen, wie weit ein Seil zur Seite geht oder in welchem Winkel es geführt wird. Doch das Gefühl entscheidet, welche Botschaft über das Seil fließt. Einfühlungsvermögen bedeutet, die innere Verfassung des Pferdes wahrzunehmen: Ist es angespannt, motiviert, interessiert oder abwesend? Dies zu erkennen, erfordert mehr als Technik – es verlangt echtes Gefühl, gepaart mit Pferdeverstand, Erfahrung und Achtsamkeit.
Gefühl zeigt sich auch darin, den richtigen Moment zu erkennen: Wann löst sich etwas im Pferd? Wann gebe ich nach, um es zu bestärken? Wann bleibe ich konsequent und unterstütze es, eine Herausforderung zu meistern? Diese feinen Entscheidungen entstehen aus Einfühlungsvermögen. Es hilft uns, abzuwägen, wann wir mehr erwarten können, wann wir nachsichtiger sein sollten, wann klare Führung gefragt ist und wann es besser ist, sanfter zu werden. Manche nennen dies Intuition, doch für mich ist das etwas anderes. Gefühl ist das bewusste Zusammenspiel aus Wahrnehmung, Erfahrung und Intuition – und genau darin liegt der Schlüssel, zur besseren Pferdearbeit.
Zusammengefasst: Gutes Timing hat immer mit Gefühl zu tun. Jede Entscheidung – sei es, wie ich mein Trainingsprogramm gestalte oder wie ich heute mit meinem Pferd interagiere – basiert darauf, was in diesem Moment wirklich wichtig ist. Es geht darum, zu spüren, was mein Pferd gerade braucht, um sich bestmöglich zu entwickeln, um in Harmonie mit sich und mit mir zu sein.
Doch all das – Technik und Gefühl – ist nur die Grundlage. Der entscheidende Schlüssel liegt in der inneren Haltung, die ich einnehme, wenn ich meinem Pferd etwas präsentiere. Diese Haltung bestimmt, ob mein Pferd mich wahrhaftig lesen kann: meine Präsenz, meine Wichtigkeit, meine innere Klarheit. Denn nur so kann das Pferd die Bedeutung der Aufgabe spüren. Ohne diese Haltung wird jede Übung zu einer mechanischen Abfolge von Bewegungen, die dem Pferd sinnlos erscheint.
Oft erlebe ich, dass Schüler glauben, sie müssten „größer“ werden, um ihr Pferd zu erreichen. Doch dabei geraten sie ins Wanken, weil sie eigentlich in Harmonie bleiben möchten. Was in solchen Momenten fehlt, ist nicht noch mehr Druck oder noch mehr Größe – sondern die Überzeugung, dass genau das, was wir gerade tun, richtig und wichtig ist.
Es kommt immer wieder vor, dass ich in solchen Situationen übernehme und viel kleiner auftrete – und dennoch effektiver bin. Denn es geht nicht um äußere Größe, sondern darum, innerlich klar und gefestigt zu sein. Es ist die Stärke einer klaren inneren Vorstellung, die wirkt, nicht die Größe die oftmal mit Härte verwechselt wird. Gefühl bedeutet auch, authentisch und offen zu sein, damit mein Pferd mich wirklich spüren kann. Für das Pferd fühlbar zu werden, ist einer der grundlegendsten Aspekte, um eine echte Verbindung zu schaffen. Doch damit tragen wir auch eine große Verantwortung: In uns muss Ordnung herrschen. Wenn wir in unserem Inneren chaotisch oder unsicher sind, spiegelt das Pferd genau das wider – und Chaos hilft ihm nicht, sondern verunsichert es nur.
Darum beginnt wahre Pferdearbeit immer bei uns selbst: in der Bereitschaft, uns ehrlich mit uns auseinanderzusetzen, Klarheit in uns zu schaffen und so für das Pferd nicht nur sichtbar, sondern fühlbar zu sein.
Keine Technik ohne Gefühl, kein Gefühl ohne Technik.
In meiner Arbeit mit Pferden habe ich oft erlebt, dass eine Übung mit technisch absolut korrekter Ausführung präsentiert wurde – aber ohne das richtige Gefühl. Das Ergebnis? Das Pferd war geistig abwesend, hat sich innerlich zurückgezogen und alles ausgeblendet.
Dieses Fehlen des richtigen Gefühls – oder die falsche innere Haltung – führt oft zu großen Missverständnissen, die sich trotz der besten Absichten zu einem dauerhaften Problem entwickeln können. Das ist frustrierend – für das Pferd, das sein Bestes gibt und trotzdem scheitert, und für uns, weil wir uns missverstanden fühlen.
Deshalb ist es so wichtig, kontinuierlich an unserer Technik, unserem Handling und unserer Präsentation zu arbeiten. Klarheit in der Kommunikation ist unerlässlich, um Missverständnisse zu vermeiden. Aber Technik allein ist nicht der Schlüssel zur Lösung.
Achtung, jetzt wird’s unbequem!
Immer wieder höre oder lese ich Sätze wie: „Mein Pferd geht total gegen Druck, das funktioniert bei ihm einfach nicht.“ Ich lasse solche Aussagen meistens stehen – es bringt nichts, Überzeugungen frontal anzugreifen. Aber sie regen mich zum Nachdenken an: Wie wurde der Druck präsentiert? Wie reflektiert ist die Person dahinter?
(Psst, keine Sorge – Anwesende natürlich ausgeschlossen!)
Wenn wir Druck ausüben, ohne innerlich klar und überzeugt davon zu sein, braucht es oft ein übermäßiges Maß an Druck, damit überhaupt eine Reaktion kommt. Das ist weder fair gegenüber dem Pferd, noch nachhaltig. In diesem Licht betrachtet, stimme ich solchen Aussagen zu: Ja, diese Art von Druck ist nicht die richtige, um einem Pferd zu begegnen.
Die Herausforderung, bei sich selbst hinzuschauen
Hier liegt die eigentliche Aufgabe: zu reflektieren und an sich selbst zu arbeiten. Doch nicht jeder will diesen Weg gehen. Pferde zeigen uns oft unsere eigenen Themen auf – sie sind wie Spiegel. Ob wir diese Herausforderung annehmen, liegt allein bei uns.
Es ist oft bequemer, in alte Muster zurückzufallen: Harmoniebedürftig und konfrontationsscheu suchen wir nach einem vermeintlich leichteren Weg. Aber diese Bedürfnisse haben erstmal wenig mit Pferdearbeit zu tun – sie sind unsere eigenen Baustellen. Wer sie erkennt und annimmt, kann wachsen, innere Klarheit gewinnen und dadurch auch für sein Pferd klarer werden. Wer diesen Weg nicht gehen möchte, wird entweder einen anderen Umgang mit dem Pferd finden oder immer wieder an dieselben Grenzen stoßen.
Das Leben bietet uns viele Chancen, in unsere Kraft zu kommen – wir müssen sie nur ergreifen. Nein, das müssen wir nicht. Es bleibt unsere Entscheidung.
Innere Haltung über alles
Wenn wir „groß werden“, um unser Pferd zu erreichen, und dabei innerlich zerrissen sind, spürt das Pferd unsere Unsicherheit. Wir können nichts vorspielen. Nur wenn wir innerlich klar und aus voller Überzeugung hinter dem stehen, was wir tun, wird unser Pferd uns verstehen. Dann braucht es oft gar nicht dieses „Großwerden“. Die innere Haltung ist stärker und überzeugender als jeder äußere Druck, den wir vielleicht nur einsetzen, um fehlende Klarheit zu kompensieren.
Schau genauer hin:
- Hast Du ein Thema damit, für Deine Wünsche einzustehen? Dann ist das vielleicht der Grund, warum es Dir schwerfällt, Deinem Pferd gegenüber klar (oder „groß“) zu sein.
- Wünschst Du Dir, von Deinem Pferd geliebt zu werden? Vielleicht steht genau dieser Wunsch Dir im Weg, für Dein Pferd wirklich klar zu sein.
- Widerstrebt es Dir, in Konfrontation zu gehen? Vielleicht hinterlässt genau das Dein Pferd oft verwirrt.
Es ist ein unangenehmes Thema, ja. Aber wenn der Schuh passt – dann zieh ihn an. Und wenn Du dabei Unterstützung brauchst, komm auf mich zu – ich helfe Dir gerne dabei, diesen Weg zu gehen.
Wenn Du jedoch schon über diese Themen hinausgewachsen bist und innere Klarheit mit Deinem Pferd lebst, dann ist dieser Beitrag vielleicht gar nicht für Dich. In diesem Fall: Herzlichen Glückwunsch! Du bist ein Geschenk für die Pferdewelt.
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