Positive oder negative Verstärkung?
Natürlich gibt es unterschiedliche Meinungen und für jede Herangehensweise sicherlich mehr als 100 gute Argumente. Ich möchte gerne leicht verständlich erläutern, was diese beiden Ansätze für mich bedeuten.
Mein eigener Hintergrund liegt in der Arbeit mit negativer Verstärkung. Dabei möchte ich betonen, dass der Begriff "negative Verstärkung" nicht automatisch negativ behaftet sein sollte. Das ist nicht leicht zu vermitteln, denn das Wort "negativ" wirkt von Natur aus abschreckend. Dazu noch „Verstärkung“ – wer möchte das schon in seinem Leben haben? Schließlich wollen wir doch alle liebevoll mit unseren Pferden umgehen, oder?
Genauso gibt es Trainingsmethoden, die sich auf positive Verstärkung stützen, oft mit der Absicht, sanfter zum Pferd zu sein. Mir geht es nicht darum, eine Wertung vorzunehmen, sondern vielmehr darum, die Unterschiede zwischen diesen beiden Ansätzen aufzuzeigen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Zunächst möchte ich klarstellen, dass es in jeder Methode Extreme gibt: sowohl positive als auch negative Beispiele. Unser Ziel sollte sein, beide Seiten zu beleuchten, ohne dass, was wir nicht ausreichend kennen, vorschnell zu verurteilen.
Negative Verstärkung:
Hier fungiert der Motivator als Hilfe, die das Pferd dazu anregt, sein Verhalten zu ändern oder einen Gedanken loszulassen. Durch den Einsatz des Motivators entsteht Raum für eine neue Handlung.
Das Ziel kann variieren, z. B. ein unruhiges Pferd zu beruhigen oder ein träges Pferd aktiver zu machen. Wichtig ist: Der Motivator wird vor der gewünschten Veränderung eingesetzt.
Positive Verstärkung:
Hier erfolgt der Motivator nach der gewünschten Veränderung. Eine bekannte Methode ist das Klickertraining, bei dem das Pferd belohnt wird, sobald es das Ziel erreicht oder sich auf dem
richtigen Weg befindet. Auch die Verwendung von Leckerli ohne Klicker zählt zur positiven Verstärkung.
Kommunikation innerhalb der Herde
Wer sich mit Herdenverhalten beschäftigt hat, weiß, dass die Kommunikation unter Pferden hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – auf negativer Verstärkung basiert. Kein Pferd verschafft sich seinen Platz in der Herde durch Leckerli oder Komplimente. Stattdessen verwendet es Druck und lässt diesen nach, sobald die gewünschte Reaktion erfolgt ist. (Ich spreche hier von Herden die der Mensch zusammengestellt hat, die in einem eingezäunten mehr oder weniger großen Bereich leben.)
Für Pferde ist diese Art der Verständigung natürlich. Sie empfinden sie nicht als unangenehm oder belastend. Ganz im Gegenteil, es ist eine sehr vertraute Art miteinander umzugehen und tut grade deshalb der Qualität der Partnerschaft zwischen Menschen und Pferd keinen Abbruch.
Schon ein Fohlen lernt diese Form der Kommunikation von seiner Mama. Die Stute baut Druck auf, z. B. durch eine bestimmte Körperhaltung, und lässt ihn sofort nach, wenn das Fohlen entsprechend reagiert. Es ist also eine Pferde-Art-gerechte-Form-der-Verständigung.
Während des Heranwachsens lernt der Jährling durch Kräfte messen mit Gleichaltrigen die Regeln der negativen Verstärkung. Und ganz egal wie stark der Druck des Ranghohen Tieres (ja, meiner Meinung nach gibt es in einer Herde Ranghöhere und Rangniedere Tiere, genauer gesagt haben sie bestimmte Rollen, nicht zu verwechseln mit einer Rangordnung 1-14) ist, sobald die Lektion gelernt wurde, stehen die Pferde entspannt nebeneinander, fressen und betreiben sogar Fellpflege! Das tun sie, weil sie keinerlei Problem mit der Art der negativen Verstärkung haben. In Pferdedenken ist es eine klare zuverlässige und beruhigende Art der Verständigung!
Wie können wir das in die Mensch-Pferd-Partnerschaft übersetzen?
Es ist wichtig zu betonen, dass negative Verstärkung nicht dazu missbraucht werden darf, einem Pferd etwas aufzuzwingen. Und genau hier liegt der entscheidende Punkt: Kein Mensch hat das Recht, den Druck so stark zu erhöhen, dass das Pferd sich nur noch gefügig verhält. Das wäre Manipulation und hat nichts mit der eigentlichen Idee der negativen Verstärkung zu tun. Vielmehr geht es darum, dem Pferd Lernaufgaben so zu präsentieren, dass sie angenehm, klar und leicht verständlich sind – mit dem Ziel, das Pferd zu motivieren, Veränderungen von sich aus anzustreben.
Bei negativer Verstärkung wird das Pferd motiviert, seine aktuelle Situation zu hinterfragen, wenn diese unangenehm wird. Sobald es eine neue Lösung findet, wird der Druck genommen – das Pferd erfährt Erleichterung und lernt, diese neue Lösung anzustreben. Dies ist vor allem dann sinnvoll, wenn sich ein für das Pferd selbst belastende Verhaltensweise (Kopfscheuheit, Probleme mit Enge) manifestiert hat.
Wann immer wir Veränderungen beim Pferd bewirken wollen, sollten diese Veränderungen zu seinem Wohlbefinden beitragen. Ein Beispiel: Wenn ich mit einem sehr ängstlichen Pferd arbeite, möchte ich ihm helfen, weniger ängstlich zu sein. Angst schränkt die Lebensqualität des Pferdes ein und macht ein Leben in ständiger Alarmbereitschaft äußerst belastend. In einem solchen Fall möchte ich das Pferd gelassener und mutiger machen. Dazu kann ich sowohl positive als auch negative Verstärkung einsetzen, denn für beide Ansätze gibt es Übungen, die ängstlichen Pferden helfen können.
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass ein Pferd nur dann bereit ist, eine Veränderung anzustreben, wenn es mit der aktuellen Situation nicht mehr weiterkommt. Solange die momentane Lage für das Pferd erträglich ist, wird es daran festhalten hat es doch gelernt, dass es durch das Festhalten immer noch am Leben ist – ähnlich wie es auch viele Menschen tun. Dieser Drang zur Sicherheit ist tief verankert. Doch die Schwelle, ab wann etwas unerträglich wird, ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Um das Pferd dazu zu bringen, sich auf eine Veränderung einzulassen, ist es manchmal notwendig, dass es eine gewisse, wenn auch geringe, Form von Stress erlebt. Dieser Stress dient als Anstoß, die bisherige Verhaltensweise aufzugeben. Genau das ist das Prinzip der negativen Verstärkung.
Wenn mein Timing gut ist, schaffe ich es, dem Pferd genau in dem Moment Erleichterung zu geben, in dem es über die Veränderung nachdenkt und bereit ist, alte Muster abzulegen. Indem ich den Stress wegnehme, helfe ich dem Pferd, die richtige Lösung zu finden.
Pragmatisch ausgedrückt: Um eine Veränderung herbeizuführen, baue ich leichten Druck auf, bis das Pferd beginnt, nach einer anderen Lösung zu suchen. Sobald es auf die Suche geht, oder diese Lösung gefunden hat und ich den Druck im richtigen Moment wegnehme, bekommt das Pferd ein positives Feedback. Es lernt durch dieses Gefühl, dass sich die neue Lösung gut anfühlt, und wird sie in Zukunft anstreben und bevorzugen.
Ganz wichtig: Druck einzusetzen, um das Pferd zum Nachdenken und Handeln zu inspirieren, ist etwas völlig anderes, als es nur vor eine einzige Option zu stellen. Letzteres wäre Zwang. Bei richtiger negativer Verstärkung wird ein Gefühl eingesetzt, um die alte, unerwünschte Verhaltensweise unattraktiv zu machen. Sobald das Pferd diese loslässt und nach einer Alternative sucht, wird das Gefühl reduziert.
Missverständnisse über negative Verstärkung
Viele Menschen assoziieren negative Verstärkung mit unangenehmen Erfahrungen, wie etwa Strafe. Dies liegt oft an unklaren Definitionen oder an unsachgemäßer Anwendung. Doch korrekt angewandt, ist negative Verstärkung ein pferdegerechtes und klar verständliches Kommunikationsmittel.
Ein weiteres häufiges Missverständnis ist der Begriff "Druck". Druck kann schon ein leichtes Gefühl im Seil von nur 0,3 Gramm sein oder das Anheben eines Fähnchens um 2-3 Zentimeter. Negative Verstärkung bedeutet nicht, immensen Druck aufzubauen, bis das Pferd aus Verzweiflung aufgibt.
Vergleich mit positiver Verstärkung
Positive Verstärkung verfolgt einen anderen Ansatz: Das Pferd erhält eine Belohnung, zum Beispiel ein Leckerli, wenn es die gewünschte Lösung findet. Doch um überhaupt auf die Suche nach der Lösung zu gehen, muss das Pferd die Belohnung erst einmal erwarten können. Das Leckerli ist also der Motivator, nachdem Pferde sehr oft Leckerli lieben und für Futter vieles/alles tun, funktioniert das Training mit Futtergabe oft schneller als Training mit negativer Verstärkung, zumindest anfangs. Häufig wirken Pferde, die mit Leckerli trainiert werden, jedoch gestresst, weil sie ständig versuchen, die „richtige“ Lösung zu finden, um die Belohnung zu bekommen. Sie probieren alle möglichen Verhaltensweisen aus, oft hektisch, und sind mehr auf die Belohnung als auf die Übung selbst fokussiert. Ihr Motivator ist das Leckerli, nicht die Veränderung der Verhaltensweise.
Selten sieht man Pferde, die in diesen Momenten entspannt neben ihrem Menschen stehen. Stattdessen ist ihre Aufmerksamkeit meist schon auf die Hand des Menschen gerichtet, und sobald das Leckerli verzehrt ist, entsteht sofort die Frage nach dem nächsten. Dieser Erwartungsdruck ist eine subtile Form von Stress, die oft nicht ernst genommen wird, weil sie scheinbar durch das Füttern des Leckerlis reduziert wird – zumindest kurzfristig.
Die angestrebte Sanftheit der Methode endet dort, wo das Pferd unablässig versucht, bestimmte Programme abzuspulen, um an weitere Leckerli zu gelangen. Selbst wenn erklärt wird, das ich etwas falsch verstanden habe und es um Futterhöflichkeit geht die ein Pferd dass Leckerli einfordert noch nicht gelernt hat. Bisher habe ich noch kein Pferd gesehen das entspannt neben seinem Menschen steht, wenn es Leckerli erwarten könnte.
Oft bleibt die Belohnung aus, bis das Pferd das gewünschte Verhalten zeigt. In der Zwischenzeit ist das Pferd jedoch hin- und hergerissen zwischen seiner Erwartungshaltung und dem Versuch, die „richtige“ Lösung zu finden. Ein Pferd kann jedoch immer nur einen primären Gedanken haben. Ist dieser stark auf das Leckerli fokussiert, fällt es schwer, sich auf die Übung selbst zu konzentrieren. Dieser Stress, der durch die Erwartung entsteht, bleibt bei der positiven Verstärkung oft unreguliert.
Zum Beispiel Verladetraining habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, dass das Pferd im Anhänger großen Stress hat, viele Pferde fressen dann nicht, auch kein Leckerli, in diesem Fall, ist es notwendig dem Pferd zu Wohlbefinden zu verhelfen, was aber nicht über Futterlob funktioniert.
Bei der negativen Verstärkung hingegen kann ich den Stresslevel des Pferdes punktgenau steuern. Durch Variieren der Energie die ich einsetze während des Prozesses gebe ich dem Pferd eine klare und verständliche Führung, während es nach der Lösung sucht.
Warum wird negative Verstärkung oft so negativ wahrgenommen?
Eine kurze Online-Suche nach dem Begriff „negative Verstärkung“ liefert meist wenig hilfreiche Erklärungen. Häufig wird sie beschrieben als eine Methode, bei der das Ausbleiben einer unangenehmen Konsequenz belohnend wirkt – oft mit Beispielen wie Elektroschocks oder Strafen. Doch dies beschreibt nicht die Art der negativen Verstärkung, über die ich spreche. Der Motivator wird in meiner Herangehensweise vorher eingesetzt, nicht als Reaktion auf ein Verhalten. Und selbstverständlich ist dabei kein Platz für extreme Methoden wie Elektroschocks.
Ich spreche von negativer Verstärkung im Sinne einer verantwortungsvollen, pferdegerechten Kommunikation, die darauf abzielt, das Wohlbefinden des Pferdes zu fördern. Vielleicht sollten wir den Begriff anpassen? „Vorausgehende Verstärkung“ oder „pferdetypische Verstärkung“ könnten alternative Bezeichnungen sein, die weniger Missverständnisse hervorrufen. Und dann eine bessere Chance hätten als das gesehen zu werden was es ist.
Es ist wichtig, dass wir als Menschen unsere eigene Denkweise nicht auf Pferde projizieren. Nur weil wir Belohnungen und Anerkennung schätzen, heißt das nicht, dass Pferde ebenso empfinden. Pferde denken, fühlen und lernen anders als wir. Je mehr wir uns darauf einlassen, sie in ihrer Sprache zu verstehen und artgerecht zu behandeln, desto vertrauter und harmonischer wird die Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
Energie einzusetzen, um ein Pferd zu inspirieren, etwas auszuprobieren, hat nichts mit Zwang zu tun. Zwang entsteht erst, wenn das Pferd nur eine einzige Möglichkeit hat, zu reagieren. Solange es Wahlmöglichkeiten gibt, bleibt das Training im Rahmen der negativen Verstärkung fair. Natürlich gibt es schwarze Schafe, die Druck und Zwang vermischen, doch das entspricht nicht der wahren Bedeutung negativer Verstärkung. Negative Verstärkung ist – korrekt angewandt – eine pferdegerechte, effektive und klare Methode der Kommunikation.
Es ist nicht das erste Mal dass ich in den Social Medien meine Meinung darüber kundtue, (auch nicht das erste Mal dass ich dafür beschimpft werde😊) bisher immer mit der Erfahrung, dass ich viele Erklärungen darüber höre, dass bei Klickertraining der Sinn darin besteht, dass am Ende keine Leckerli gefüttert werden, sondern lediglich das Klickern für das positive Feedback sorgt, das Leckerli wird also wieder abtrainiert. Wenn ich aber Videos von Profis die mit Klickertraining arbeiten anschaue und genau hinsehe, kann man sehr wohl erkennen, dass immer weiter Leckerli gefüttert werden. Oft ein scheinbarer Versuch, das Video so zu schneiden, dass der Faktor Leckerli nicht offensichtlich erkannt wird, Warum?
Fazit
Negative Verstärkung ist eine natürliche und für Pferde intuitive Form der Kommunikation, die sich stark an ihren innerartlichen Interaktionen in der Herde orientiert. Richtig angewandt, ermöglicht sie es, das Stresslevel des Pferdes gezielt zu regulieren, Sicherheit zu vermitteln und nachhaltige Lernerfolge zu erzielen. Sie bietet eine klare Führung, die dem Pferd erlaubt, durch eigene Entscheidungen Fortschritte zu machen und Vertrauen in die Zusammenarbeit mit dem Menschen aufzubauen.
Positive Verstärkung hingegen bringt wertvolle Ansätze mit sich, die jedoch nicht immer den gewünschten Effekt erzielen. Der Fokus auf Belohnungen wie Leckerli kann Pferde in eine Erwartungshaltung versetzen, die mit unterschwelligem Stress verbunden ist. Statt ruhig und konzentriert zu lernen, stehen viele Pferde unter einem inneren Druck, die „richtige Antwort“ zu finden, um die Belohnung zu erhalten. Diese Dynamik kann die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd erschweren und die gewünschte Sanftheit der Methode in Frage stellen.
Es zeigt sich, dass negative Verstärkung, wenn sie feinfühlig und verantwortungsvoll eingesetzt wird, nicht nur artgerecht, sondern auch effektiv sein kann. Sie ermöglicht es, das Training so zu gestalten, dass es für das Pferd klar verständlich ist und seinem natürlichen Kommunikationsverhalten entspricht. Dabei ist stets darauf zu achten, dass diese Methode mit Respekt und Rücksicht auf das Wohlbefinden des Pferdes angewandt wird.
Warum wird negative Verstärkung oft missverstanden, obwohl sie – korrekt angewandt – eine natürliche und intuitive Methode für Pferde ist?
Sollte der Begriff „negative Verstärkung“ durch einen positiveren oder passenderen Ausdruck ersetzt werden, um Missverständnisse zu vermeiden?
Kommentar schreiben