Mal Lehrer, mal Schüler – eine Reitstunde, die mich Demut lehrte
Da stand ich also, auf der Aufsteighilfe, neben einer wunderschönen, dunkelbraunen Warmblutstute. Bereit, aufzusteigen. Mein Herz klopfte wie verrückt, meine Knie zitterten. Ich, die seit
ihrer Kindheit reitet. Ich, die Reiten beruflich unterrichtet. Und ich, die ihren Schülern regelmäßig zeigt, wie man souverän aufs Pferd steigt – ohne zitternde Knie und Herzklopfen.
Warum war diesmal alles anders?
Die Aufsteighilfe? Bombenfest.
Höhenangst? Die beginnt bei mir erst ab zwei Metern.
Es war die Frau hinter mir. Sie war meine Lehrerin an diesem Tag – und ich war die Schülerin. Plötzlich war all meine Souveränität weg. Diese Rolle fühlte sich ungewohnt und wackelig an,
obwohl meine Lehrerin völlig ruhig und freundlich war.
Als mir bewusst wurde, dass ich in der Schülerrolle alles über Bord werfe, um möglichst offen zu sein, und dass allein der Gedanke „Heute bin ich die Schülerin“ meine innere Balance ins
Wanken bringt, musste ich schmunzeln. Ich teilte dieses Gefühl mit meiner Lehrerin – und das Eis war sofort gebrochen. Die Stunde wurde lehrreich, intensiv und einfach wunderbar.
Was ich an diesem Tag begriff: Gute Lehrer sind immer auch Schüler.
Nur wer selbst lernt, kann andere wirklich lehren. Nur wer bereit ist, die Schülerrolle anzunehmen, bleibt offen für Entwicklung.
Ein weiteres Erlebnis, das
mich das lehrte:
Vor einigen Jahren, bei einer Fortbildung mit meinem Trainer Harry Whitney in Arizona, sattelte ich ein Jungpferd. Plötzlich spürte ich seinen Blick – wie er sich im Sattel verbog, um genau
hinzusehen, was ich tat.
Und dann traf es mich wie ein Blitz! Ich hatte einen Fehler
gemacht – einen Fehler, den ich bei meinen Schülern als absolutes No-Go predige. Ich hatte beim Westernsattel zuerst den hinteren Bauchgurt befestigt! Ein fataler Fehler, den ich immer wieder
erkläre: Wenn das Pferd erschrickt, rutscht der Sattel unter den Bauch, was Panik und gefährliches Buckeln auslösen kann.
Ich war fassungslos. „Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gemacht habe“, sagte ich zu Harry. Sein Grinsen sprach Bände: Er wusste genau, wie es ist, Schüler zu sein.
Doch ich habe auch erkannt, dass es nicht jedem leichtfällt, in der Lehrerrolle etwas anzunehmen. Es wirkt manchmal, als müsste man „das Gesicht wahren“.
Ich erinnere mich an Begegnungen mit anderen Lehrern, bei denen ich beispielsweise meinen Sitz korrigieren lassen wollte. Obwohl sie wussten, dass ich ebenfalls Trainerin bin – nur mit einem
anderen Fokus – fiel es ihnen schwer, in einen echten Austausch zu gehen. Als wäre die Dynamik „Lehrer-Schüler“ eine unüberwindbare Barriere, selbst unter Kollegen.
Dabei hätte ich es unglaublich spannend gefunden, sich auf Augenhöhe auszutauschen – wie unter Kollegen, die voneinander lernen und profitieren könnten. Leider scheint das für viele schwierig
zu sein. Und ja, ich verstehe das: Ich kam zu ihnen als Schülerin, nicht als Kollegin.
Deshalb dränge ich mich in solchen Momenten nicht auf. Ich konzentriere mich stattdessen auf das, wofür ich gekommen bin: zu lernen.
Schade eigentlich, denn im Austausch steckt so viel Potenzial – nicht nur für die Schüler, sondern auch für die Lehrer.
Ähnliches nehme ich oft in den sozialen Medien wahr. Die meisten erzählen eher, wie sie Dinge selbst handhaben, und nur wenige stellen gezielt Fragen. Vielleicht liegt es daran, dass es oft
leichter fällt, die eigene Meinung zu teilen, als sich wirklich auf einen Austausch einzulassen. Es ist eine spannende Entwicklung, über die ich manchmal nachdenke.
Wenn ich Seminare besuche, halte ich mich meist zurück. Ich bin dort, um Wissen aufzunehmen und neue Perspektiven kennenzulernen, nicht um zu zeigen, was ich schon alles kann. Außerdem möchte
ich dem Veranstalter oder Referenten den Raum lassen, den er verdient – für mich ist das eine Frage des Respekts.
Lehrer, Schüler, Mensch:
Auch wir Trainer machen Fehler. Auch wir lernen. Auch wir sind Schüler. Und das ist gut so!
Denn um wirklich gut zu lehren, muss ich auch zuhören – und vom Pferd lernen. Die Pferde sind unsere besten Lehrer, von Ihnen können wir am meisten lernen, aber auch hier heißt es sich in
Demut üben und hinschauen, offen sein und flexibel bleiben.
Pferde sind uns weit voraus: Sie lernen von uns, während sie uns gleichzeitig unermesslich viel beibringen.
Was war eure lehrreichste
„Schüler-Erfahrung“ – im Reiten oder im Leben? Schreibt es mir in die Kommentare!
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