Laterale Flexion: Zwischen Sinn und Unsinn
Die Ansichten über korrekte Gymnastizierung in der Reiterei könnten kaum weiter auseinanderliegen – genauso wie bei allen anderen Themen, die die Pferdewelt bewegen. Es scheint fast so, als wäre
Uneinigkeit ein fester Bestandteil unseres Hobbys. Aber genau das macht es auch so spannend, oder? Heute möchte ich über ein Thema
sprechen, das mir besonders am Herzen liegt: die laterale Flexion. Diese Übung ist weit verbreitet und wird sowohl vom Boden als auch aus dem Sattel angewandt. Ziel ist es, dass
das Pferd den Kopf auf sanften Druck des inneren Zügels hin zur Seite biegt, ohne dabei die Beine zu bewegen. Theoretisch klingt das vielleicht logisch, doch bei genauerem Hinsehen stellen sich
viele Fragen – und noch mehr Zweifel.
Meine erste Begegnung mit der lateralen Flexion
Meine eigene Erfahrung mit der lateralen Flexion begann, wie soll ich sagen, traumatisch. Als junges Mädchen wurde ich in einem Stall mit der wohl schlimmsten Version dieser Übung konfrontiert:
Mein damaliger Lehrer zeigte mir, wie man den Zügel an den Steigbügel bindet, um das Pferd „zu lehren“, den Hals zu biegen und jeden Widerstand loszulassen. Dabei ließ man die Pferde 10 bis 15
Minuten unbeaufsichtigt in der Box stehen, um anschließend die Seite zu wechseln – damit beide Halsseiten „gedehnt“ waren, bevor das Training begann. Ja, das war grausam, und ich schäme mich bis
heute, dass ich damals nichts dagegen gesagt habe. Aus Angst, aus Unsicherheit – aber das macht es nicht besser. Ich war stiller Beobachter und damit Teil dieses Unrechts.
Die sanfte Variante – wirklich besser?
Heute kenne ich auch sanftere Herangehensweisen an die laterale Flexion. Sie scheinen auf den ersten Blick professioneller, doch selbst hier verstehe ich den Sinn nicht ganz. Die Übung bleibt in
meinen Augen fragwürdig. Oft wird sie mit Argumenten wie „Dehnung der Halsmuskulatur“ oder „Widerstandslosigkeit“ begründet. Aber was ist mit den Gedanken des Pferdes? In keiner Erklärung, die
ich bisher gehört oder gelesen habe, wurde der mentale Zustand des Pferdes berücksichtigt. Stattdessen liegt der Fokus rein auf der körperlichen Ebene: Der Kopf soll sich biegen, die Zügel sollen
leicht in der Hand liegen, und das Pferd soll stillstehen. Doch was bringt es, wenn das Pferd zwar körperlich nachgibt, gedanklich aber auf einem ganz anderen Planeten ist?
Die Problematik des „Gummihalses“
Eines der größten Probleme der lateralen Flexion ist für mich der sogenannte „Gummihals“. Das Pferd lernt, den Kopf seitlich zu biegen, während der Rest des Körpers starr bleibt. Im schlimmsten
Fall kann das Pferd mit weit zur Seite gebogenem Hals weiterhin geradeaus galoppieren – ein Sicherheitsrisiko sondergleichen! Die langfristigen Konsequenzen dieser Übung sind noch gravierender:
• Der Rücken des Pferdes wird fest.
• Die Durchlässigkeit über die gesamte Oberlinie fehlt.
• Die Verbindung vom Kopf zur Hinterhand wird gekappt.
Trainer betonen oft, dass die Beine des Pferdes bei der lateralen Flexion stillstehen sollen. Doch genau das verursacht Schiefe und ein Ungleichgewicht. Die Hinterhand wird nicht mit einbezogen,
die äußere Schulter drückt nach außen, und das Pferd lernt, sich „krumm“ zu bewegen.
Ist das Pferd mit den Gedanken dabei?
Ist das Pferd aber nicht in der Lage, dem Gefühl des Zügels auch mit seinen Gedanken zu folgen, sprich, ist es nicht in der Lage, seine bestehenden Gedanken loszulassen und dem Gefühl nicht nur
körperlich, sondern auch mit seinem Fokus zu folgen, so ist die erlernte Biegung nur eine Bewegung auf einer sehr armen körperlichen Ebene. Noch schlimmer: Das Pferd lernt, dem Gefühl des Zügels
zu entweichen, ohne dorthin zu denken! Mit genügend geschultem Blick kann man das bei jedem Lehrvideo sehen, das zum Thema laterale Flexion gezeigt wird. In diesen Videos ist immer nur die Rede
davon, wie sich das Pferd biegt (rein körperlich) und wie leicht sich der Zügel dabei anfühlen soll. (Entweichen des Gefühls, man kennt den Begriff „hinter das Gebiss stellen“). Dass diese Übung
nur körperlich und nicht auf die Gedanken des Pferdes ausgerichtet ist, erkennt man auch daran, dass das Pferd häufig seinen Kopf sehr schnell wieder nach vorne bringt, sobald der Zügel
losgelassen wird.
Die Schiefe durch unbewegte Füße
Trainer legen großen Wert darauf, dass sich die Füße bei der lateralen Flexion NICHT bewegen. Das Pferd ist also von Kopf bis Widerrist gebogen, von Widerrist bis Schweif jedoch gerade. Eine
geniale Lösung, nicht wahr? Während die Vorderpartie des Pferdes zu einem Korkenzieher geformt wird, bleibt der Rest stoisch gerade. Das Ergebnis? Schiefheit vom Feinsten!
Fordern wir das Pferd nun auf, sich im Kreis zu bewegen oder gar eine elegante Drehung hinzulegen – ohne Verbindung zum inneren Hinterfuß, versteht sich – drückt die Hinterhand die äußere
Schulter unweigerlich aus dem Kreis. Der Fachterminus lautet: „Das Pferd geht über die äußere Schulter hinaus.“ Hurra, wir haben ihm beigebracht, krumm zu sein! Aber keine Sorge, auch hierfür
gibt es eine bewährte Methode: Wir greifen zum äußeren Zügel und blockieren die Schulter, um das Drängen zu verhindern. Natürlich beheben wir damit nicht die Ursache des Problems, aber hey,
immerhin unterdrücken wir ein Symptom! Ironie beiseite: Der äußere Zügel blockiert die Schultern, doch die eigentliche Ursache bleibt unbehandelt – die fehlende Verbindung des inneren Zügels zur
Hinterhand.
Indem wir darauf bestehen, dass die Füße stillstehen, wenn das Pferd dem inneren Zügel nachgibt, bringen wir ihm genau das bei: Die Führung des inneren Zügels endet am Widerrist, die Hinterhand
bleibt außen vor. Statt Durchlässigkeit schaffen wir ein Pferd, das buchstäblich in zwei Hälften geteilt scheint – vorne Biegung, hinten Starre.
Eine alternative Herangehensweise
Was wäre, wenn wir den inneren Zügel tatsächlich mit der Hinterhand verbinden würden? Wenn das Pferd lernt, nicht nur seinen Kopf, sondern seinen gesamten Körper sanft auf die Führung des Zügels
auszurichten? Der innere Zügel sollte nicht nur bis zum Widerrist wirken, sondern den ganzen Körper des Pferdes ansprechen.
Eine korrekte Biegung entsteht dann, wenn:
• Das Pferd auf die sanfte Annahme des Zügels mit seinen Gedanken folgt. Aufgrund dieser Gedanken richtet sich der Hals in die entsprechende Richtung aus, und der restliche Körper des Pferdes
folgt diesem Fokus.
• Der innere Hinterfuß unter den Schwerpunkt tritt.
• Der gesamte Bewegungsablauf im Einklang mit dem mentalen Fokus des Pferdes steht.
Diese Herangehensweise erfordert Geduld und ein Verständnis für die Gedankenwelt des Pferdes. Doch sie fördert Geradlinigkeit, Ausgewogenheit und eine echte Durchlässigkeit.
Der Mythos „One-Rein-Stop“
Ein häufig genanntes Argument für die laterale Flexion ist ihre angebliche Vorbereitung auf den One-Rein-Stop – eine Notfalltechnik, um ein durchgehendes Pferd zu stoppen. Doch genau hier liegt
der Denkfehler: Ein Pferd mit „Gummihals“ kann weiterhin in vollem Tempo geradeaus laufen, selbst wenn sein Kopf zur Seite gebogen ist. Der Schlüssel zur Kontrolle liegt in der Loslösung der
Hinterhand – nicht in der Halsbiegung.
Fragen zur lateralen Flexion
Die laterale Flexion sollte stets kritisch hinterfragt werden. Einige zentrale Punkte, die bedacht werden sollten:
1. Warum wird darauf bestanden, dass die Beine des Pferdes stillstehen? Für was sollte das gut sein?
2. Welche Vorteile könnte es haben, die Hinterhand aktiv mit einzubeziehen?
3. Wie lässt sich sicherstellen, dass ein „Gummihals“ vermieden wird?
„Die laterale Flexion – Harmonie oder Hindernis? Was sind Eure Gedanken dazu?
Habt Ihr positive Erfahrungen gemacht oder teilt Ihr meine Zweifel? Diskutiert mit, ich bin gespannt auf Eure Meinungen! “
Im Sinne des Pferdes
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