Der Unterschied zwischen einem Dialog und einer Übung
Drei Jahre lang arbeitete ich auf einer Dude-Ranch in Denver, Colorado – eine Erfahrung, die mein Verständnis von Pferden und Kommunikation nachhaltig verändert hat. Auf der Ranch betreuten
wir rund 20 Einstellpferde und 60 Pferde, die meinem Arbeitgeber gehörten. Obwohl unser Name „Paint Horse Stable“ lautete, fanden sich bei uns alle möglichen Rassen. Mein Job als Wrangler –
so nennt man Leute, die ausschließlich mit Pferden arbeiten – führte mich im Sommer durch den Cherry
CreekState Park und ließ mich im Frühjahr Fohlen willkommen heißen.
Der Jahresrhythmus auf der Ranch war klar strukturiert: Frühling bedeutete Fohlenzeit und der Beginn der Hauptsaison für geführte Ausritte. Kein Pferd wurde jedoch Kunden alleine überlassen –
dafür waren sie uns zu wertvoll. Stattdessen begleiteten ein oder zwei Wrangler die Gruppen, sorgten für Sicherheit und passten Tempo und Route an. Im Sommer war die Ranch ein lebendiger Ort
voller Kinderlachen, Ponyclub-Abenteuern und gelegentlichen Kutschfahrten für besondere Anlässe. Im Herbst konzentrierten wir uns auf das Einreiten junger Pferde – ein fairer Prozess, denn
keines unserer Pferde musste sich „zu Tode arbeiten“.
Jedes Frühjahr organisierten wir ein Fest, um neue Besucher anzulocken und unsere Trainingsphilosophie zu teilen. Als Wrangler präsentierten wir die uns anvertrauten Pferde, während mein Boss
die Arbeit kommentierte. In jenem Jahr sollte ich Widget vorstellen, eine junge, willensstarke Painstute mit faszinierenden wasserblauen Augen. Wochenlang übte ich unsere Vorführung: ein
harmonisches Reitprogramm, das Widgets Talent und unsere Zusammenarbeit betonen sollte. Doch wie so oft kam alles anders.
Am Tag der Vorführung erkrankten mehrere Wrangler, das Programm wurde umgestellt. Plötzlich sollte ich mit Widget Basis-Führübungen und gymnastizierende Bodenarbeit zeigen – Übungen, die sie
zwar beherrschte, aber die unsere wochenlange Vorbereitung hinfällig machten. Innerlich fühlte ich mich wie ins kalte Wasser geworfen. Widget spürte meine Unsicherheit und reagierte: Sie
legte die Ohren an, schüttelte den Kopf um ihren Widerwillen kund zu tun. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, ignorierte ihre Signale und arbeitete mechanisch die Lektionen ab. Doch unser
„Dienst nach Vorschrift“ brachte weder mir noch Widget Zufriedenheit.
Für den Rest des Tages war ich beschäftigt, mein Bestes zu geben, um das Fest zu einem Erfolg zu machen. Doch in meinem Inneren schwelte die Unzufriedenheit. Immer wieder drifteten meine
Gedanken zurück zu der missglückten Vorführung mit Widget. Trotz der Ablenkung fühlte ich den nagenden Frust, der einfach nicht weichen wollte.
Als am Abend alles aufgeräumt war und die Ranch wieder ihren normalen Zustand angenommen hatte, verabschiedeten sich die anderen nach Hause. Ich freute mich auf Ruhe, doch mein Boss hielt
mich zurück. „Bleib noch kurz“, sagte er, „ich habe ein paar Fragen.“ Innerlich verdrehte ich die Augen, blieb aber stehen. Während die letzten Kollegen verschwanden, blieb ich allein mit ihm
im Büro zurück.
„Wie fandest du den Tag?“ fragte er, als er mir gegenüber Platz nahm. Ich hatte keine Lust auf Smalltalk und antwortete knapp: „War okay, warum?“ Doch er ließ nicht locker. „Und wie zufrieden
bist du mit deiner Performance heute Vormittag?“ Oh nein, dachte ich, nicht das auch noch. Die Anspannung des Tages wurde plötzlich überwältigend. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich
spürte, wie der aufgestaute Frust herausbrechen wollte.
„Ich bin enttäuscht“, platzte es aus mir heraus. „Ich habe so viel Zeit und Energie in die Vorbereitung gesteckt, und dann wird alles im letzten Moment über den Haufen geworfen! Ich verstehe
einfach nicht, warum das nötig war.“ Mein Boss grinste, und das ließ die Wut in mir hochkochen. Wut auf ihn, weil ich fand, dass er das Event schlecht organisiert hatte. Wut auf Widget, weil
sie mich hängen ließ, obwohl ich immer alles für sie tat. Und am schlimmsten: Wut auf mich selbst, weil ich einfach nicht begriff, was schiefgelaufen war.
„Was war heute mit Widget los?“ fragte er ruhig, während ich innerlich bebte. Pampig schoss ich zurück: „Es war einfach nicht das, was wir geübt hatten.“ Ich wollte die Schuld unbedingt bei
ihm abladen, ihn verantwortlich machen. Doch er schmunzelte nur und stellte eine Frage, die mich aus der Fassung brachte: „Übst du eigentlich jedes Mal, wenn du dich mit einem Freund
unterhältst, wochenlang das Gespräch vorher?“
Ich starrte ihn verwirrt an. „Was meinst du?“ fragte ich gereizt. Er atmete tief durch – ein Zeichen, dass er sich auf eine längere Erklärung vorbereitete.
„Wenn du dich mit einer Freundin auf einen Kaffee triffst oder mit jemandem spazieren gehst, planst du dann jeden Satz vorher? Schreibst du dir auf, was du sagen willst, und übst es, damit
alles perfekt läuft?“ Seine Worte trafen mich unerwartet, und ich schüttelte langsam den Kopf.
„Also“, fuhr er fort, „warum denkst du, dass du ein Gespräch mit deinem Pferd üben kannst? Kommunikation ist kein starres Programm, das man vorher einstudiert. Jeder Tag ist anders. Die
Fragen, die du deinem Pferd heute stellst, können morgen längst beantwortet sein – und es gibt neue, die du vielleicht noch nie gestellt hast. Wie willst du das alles vorplanen?“
Er fuhr fort: „Wenn du mit deinem Pferd kommunizierst, warum glaubst du, dass du ein Gespräch einfach üben kannst? Jedes Gespräch – ob mit Menschen oder Pferden – ist einzigartig. Widget hat
dir heute Fragen gestellt, aber du warst in deinem starren Plan gefangen. Statt auf sie einzugehen, hast du nur einen festgelegten Ablauf abgespult, der nichts mit echtem Dialog zu tun hatte.
Kein Wunder, dass sie keine Lust hatte, mitzuwirken.“
Seine Worte sanken tief in mein Bewusstsein. Plötzlich wurde mir klar, wie oft Widget versucht hatte, sich mitzuteilen. Sie hatte mir Fragen gestellt – auf ihre Weise, in ihrer Sprache – doch
ich war zu sehr in meinem eigenen Muster gefangen, um sie zu hören. Anstatt wirklich zuzuhören, hatte ich mechanisch meinen Plan verfolgt, ohne Raum für echtes Miteinander zu lassen. Kein
Wunder, dass sie am Ende nicht mehr mitmachen wollte.
Plötzlich fühlte ich Scham. Scham darüber, dass ich meinem Boss und Widget die Schuld an meinem Scheitern geben wollte. Scham darüber, dass mein eigenes Ego so groß war, dass ich nicht sehen
konnte, was wirklich nötig gewesen wäre: Für Widget da zu sein, sie zu hören und zu verstehen.
Diese Erfahrung hat mir eine der wichtigsten Lektionen meines Lebens gelehrt: Wahre Kommunikation – ob mit Menschen oder Tieren – ist lebendig, flexibel und erfordert, dass wir uns auf unser
Gegenüber einlassen. Ein Dialog ist keine Übung, sondern eine offene und ehrliche Interaktion. Nur wenn wir bereit sind zuzuhören, können wir wirklich verstehen.
Seitdem beobachte ich derartige Vorführungen genau und man kann wirklich einen Unterschied erkennen ob ein mechanische Verhaltensmuster abgespult wird, oder ob Pferd und Mensch in einem
echten Dialog sind. In diesem Sinne und im Sinne des Pferdes.
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